"Physik für Mädchen"
Von Ernst Speer, Ernst Klett Verlag Stuttgart, 2. Auflage 1956.
Der Titel hätte in den frauenbewegten '70ern wahrscheinlich so einige auf die Barrikaden gebracht. Heute wäre sowas einfach nicht mehr mit der Political Correnctness vereinbar. Aber damals war es wohl ein Fortschritt, dass Schulkinder des anderen Geschlechts (*duck*) tatsächlich überhaupt sowas wie Grundkenntnisse in Physik beigebracht bekamen.
Der Titel hätte in den frauenbewegten '70ern wahrscheinlich so einige auf die Barrikaden gebracht. Heute wäre sowas einfach nicht mehr mit der Political Correnctness vereinbar. Aber damals war es wohl ein Fortschritt, dass Schulkinder des anderen Geschlechts (*duck*) tatsächlich überhaupt sowas wie Grundkenntnisse in Physik beigebracht bekamen.
Das Buch ist bei der "Schwiegermutter" auf dem Dachboden aufgetaucht. Und da hab ich es mir natürlich sofort gekrallt und ein wenig drin gestöbert. Es handelt sich um ein Realschulbuch, das wohl ungefähr auf die 7 Klasse abzielt (genau konnte sie es mir nicht mehr sagen). Schließlich ist sowas auch eine Art von Zeitzeugnis, das einem das Denken der Menschen in der Mitte des letzten Jahrhunderts näher bringen kann.
Bei aller Fortschrittlichkeit, Mädchen die Geheimnisse der (im großen und ganzen newtonschen) Physik näher bringen zu wollen, so manche Dinge lassen einen heutzutage doch schmunzeln: Da ist zum Beispiel das Bild von der Mutter, die ihren Säugling badet, übrigens die erste Abbildung im ganzen Buch. Da wird der zukünftigen guten deutschen Hausfrau und Mutter schon mal direkt die Rolle vor Augen gehalten, die sie demnächst in der Gesellschaft zu belegen hat.
Insgesamt liest sich das erste Kapitel wie ein erweiterter Hauswirtschaftsunterricht: Da wird erklärt, wie Öfen und Eisschränke funktionieren. (Interessant auch die Abbildung der tuberkoulosegefährdeten Kinder, die sich vor Alpenpanorama in der Sonne sportlich betätigen - eine Krankheit, die auf Grund massivem Antibiotika-Einsatz in den Industrienationen als besiegt gilt und nur noch eine weit entfernte Erinnerung der letzten oder sogar vorletzten Generation ist, in der so genannten dritten Welt aber auch heute noch umgeht wie Pest und Cholera - zu finden im Unterkapitel über Wärmestrahlung.)
Doch dann wirds ernst: Federn, Hebel, Schwerpunkte, Druck, Auftrieb werden sehr anschaulich erklärt. Wenn ich anschaulich sage: Mathe beschränkt sich auf Textaufgaben, Formeln sind weit und breit keine zu sehen - wenn man mal von "Arbeit = Kraft mal Weg" absieht. Hier wird auf Intuition gesetzt. Das soll die trockene Materie wohl etwas schmackhafter machen, und vielleicht auch leichter verständlich.
Übrigens: Hier wird noch mit Pond und Kilopond gerechnet und auf den Unterschied zwischen Gewicht und Masse großen Wert gelegt. Schon interessant, dass sich in manchen Bereichen das SI so stark durchgesetzt hat (Wer weiß heute noch, was ein Pond ist? Newton ist die Einheit, die Kräfte - und damit auch Gewichte - angibt!), und doch weiß jeder mehr mit Pferdestärken anzufangen als mit Kilowatt... zumindest, wenn es um Autos geht!
Interessant auch, wie ausführlich auf die Funktionsweise einer Dampflok eingegangen wird: Bis weit in die '60er hinein fuhren auch in Deutschland noch regelmäßig dampfgetriebene Loks.
Das nächste Kapitel bringt und den Schall näher - auf gerade mal acht Seiten. Schall ist dem Autor offenbar zu langweilig oder zu komplliziert für Mädchen. Immerhin, wir erfahren, wie Schallplatten funktionieren, die man damals offenbar noch aus Hartgummi (Schellack?) herstellte und noch nicht aus PVC.
Es geht weiter mit dem Licht. Eine Lochkamera zu bauen, das war wohl schon in den '50ern eine Methode, die Kinder bei Laune zu halten. Wir haben das allerdings im Kunst- und nicht im Physikunterricht gemacht. Dann kommen Schatten dran, und sogar die Lichtgeschwindigkeit wird kurz erwähnt. Leider wird nicht erwähnt, dass Brechung an optisch dichtere oder dünnere Medien auf die Unterschiede in der Lichtgeschwindigkeit beruht oder die Dualität des Lichtes als Teilchen oder Welle erwähnt. Ob das damals die Kinder überfordert hätte, weil zu abstrakt?
Linsen, Spiegel und Blenden werden recht gut erklärt, ebenso Perspektiven und schließlich folgt ein kleiner Abstecher in die Biologie, wenn das Auge (und Kurz- und Weitsichtigkeit) erklärt wird. Es folgt die Vorstellung eines Prismas ("Erklärung" wäre zu hoch gegriffen, denn warum ein Prisma das Licht aufspalten kann, wird nicht mal ansatzweise erwähnt).
Nach der Optik folgt das Kapitel über Magnetismus: Was ist ein Magnet, wie die Eisen-Atome sich ausrichten, wenn ein Magnet in die Nähe gebracht wird (die Worte, die ich hier vermisse, wären "magnetisches Moment", aber das wäre für die 7 Klasse vielleicht auch heute noch zu hoch), dass die Erde ein Magnetfeld hat (aber nicht, wie es entsteht, das wusste man damals tatsächlich noch gar nicht so genau) und wie man eine Uhr als Kompass benutzten kann (Digitaluhren gab es damals noch nicht, also musste man nicht extra darauf hinweisen, dass man eine mit Zeigern meint).
Das wars auch schon, was der Autor über Magnete zu sagen hatte. Es folgt die Elektrizität, die anhand der Analogie von sich bewegendem Wasser in Rohren erläutert wird, und das sehr intensiv. Ob das dem Verständnis von Elektrizität tatsächlich hilft, mag dahin gestellt sein; immerhin gab es damals noch keine Elektronik im heutigen Sinne, für die man Ladungseigenschaften von Elektronen hätte kennen müssen. Aber den Unterschied zwischen Wechsel- und Gleichspannung hätte man schon erwähnen können. Ansich gerät das Kapitel wieder zu einer Vertiefung der Hauswirtschaft, wenn hier - mädchengerecht - von Bügeleisen, Tauchsiedern und Backöfen geredet wird. Immerhin werden neben (den damals gebräuchlichen) Schmelzsicherungen sogar "neumodische" Si-Schutzschalter erwähnt und sogar recht detailliert erklärt.
Es folgen Glühlampen und wie man mit ihnen seine (oder eher "ihre") Küche korrekt beleuchtet. (Jungs haben in der Küche schließlich nichts verloren! Deswegen sehen wir ja auch Mutter beim Abwasch. Vati sitzt wahrscheinlich schon vorm Volksempfänger und hört Fußball! )
Was uns der Strom kostet und was eine Kilowattstunde ist, erfahren wir wieder über die leidige Wasserleitungs-Analogie. Immerhin wird die Elektrolyse von Wasser erwähnt (was bei all den Wasserleitungen ja auch abzusehen war ). Von hier hangeln wir uns weiter zu so grundlegenden Begriffen wie "Spannung, Stromstärke und Widerstand" (für letzteren bekommen wir sogar eine Definition geliefert, vielleicht weil diese so anschaulich ist, da sie mit Quecksilberfäden einer bestimmten Länge zu tun hat(te)).
Dann folgt etwas, was ich zuvor noch nicht gesehen habe: Im Abschnitt über (Blei-)Akkumulatoren findet sich tatsächlich nicht nur eine, sondern gleich zwei komplette chemische Reaktionen mit allen dazugehörigen Symbolen für die beteiligten Elemente. Offenbar ist dem Autor hier nichts mehr eingefallen, wie man das anschaulicher machen könnte.
Im Abschnitt über Elektromagnetismus erfahren wir, wie eine Hausklingel funktioniert, wie ein Lautsprecher und ein Mikrophon zusammen ein Telefon (Sorry, "Fernsprechapperat") ergeben und wie ein Dynamo bzw. ein Elektromotor funktionieren. Es wird sogar Induktion erklärt, und hier begegnet uns auch endlich der Wechselstrom. Überhaupt ist dieses ganze Kapitel sehr viel technischer und weniger auf die werdende Hausfrau zugeschnitten, hier kann man tatsächlich auch abstrakte Dinge wie einen Sinus (auch wenn er nicht so genannt wird) finden und wie man aus Wechsel- einen Gleichstrom erzeugt (gruselig, wenn man keine Dioden zur Verfügung hat).
Jetzt ist es an der Zeit, ein Elektrizitätswerk zu besuchen: Vom Wasserrad wird zur modernen Dampfturbine übergeleitet, Hochspannungsleitungen und -netze werden erklärt und die Notwendigkeit von Transformatorenhäuschen eingeworfen. Dann geht es mit der Straßenbahn als elektrischem Verbraucher weiter, bis wir leider wieder im Haushalt landen und der Hausfrau beigebracht wird, dass die Segnungen des Elektromotors vom Fleischwolf bis zum Teigrührer auch dem Heimchen am Herd zu Gute kommt.
Hingegen ist es gut zu wissen, wie ein Kühlschrank funktioniert. (In diesem Abschnitt habe sogar ich noch was gelernt, denn zu meiner Zeit waren Absorbtionskühlschränke so hoffnungslos veraltet, dass ich darüber nichts mehr gelernt habe - aber jetzt weiß ich endlich, wie ein Campingkühlschrank mit Gasflamme kühlt, denn das dürfte wohl der letzte Anwendungsbereich für diese Energieverschwender sein.)
Nach so viel Hauswirtschaft zurück zum Thema: Physik. Und jetzt wird es spannend, denn es geht um "elektrische Strahlen". Wir beginnen mit einer Neonröhre (ohne das Wort "Plasma" in den Mund zu nehmen - aber wahrscheinlich nannte man das damals wirklich noch nicht so), weiter gehts mit Röntgenstrahlung und wie man sie mit einer Kathodenstrahlröhre erzeugt. Glücklicherweise wusste man damals noch nicht, wie gefährlich höhere Strahlendosen auf die Dauer sind, deshalb wird auch mit keinem Wort erwähnt, warum die Arzthelferin auf dem Foto eine Bleischürze trägt. Achso, wir wollen nur niemanden beunruhigen, dann ist ja gut. Dabei wird uns doch als nächstes gezeigt, wie gefährlich Strom sein kann. Seltsam.
Weiter gehts im Kapitel "Rundfunk". Ein Schwingkreis wird mit einem U-Rohr voller Wasser verglichen. Naja, ok, Analogien sind ja hilfreich fürs Verständnis, angeblich. Aber immerhin, wir erfahren von Kondensatoren und offenen Schwingkreisen und Antennen, schließlich reden wir über die Modulation von Wellen (und meinen Amplitudenmodulation, FM war wohl noch nicht in Gebrauch oder zu kompliziert) und es wird uns erklärt, wie man mit einer Glühkathodenröhre das empfangene Signal verstärken kann. (Transistor-Radios gab es noch nicht, nur Papas alten Volksempfänger.) Kurz werden noch Ultrakurzwellen erwähnt, und dass man sie für sowas ultramodernes wie Fernsehn braucht (oder auch Radar).
Das nächste und letzte Kapitel hat es in sich: Atomphysik. Wir beginnen mit Uran-Pechblende und lassen darin von Marie Curie Radium entdecken. Die unterschiedlichen Strahlungsarten (α, β, γ) werden erwähnt sowie die Halbwertszeit erklärt. Radium als Heilmittel, das ist allerdings etwas, wo man heute lieber die Finger von lässt. Aber damals war Radioaktivität ja noch was Gutes, oder zumindest nicht gefährlich.
Kurz wird das bohrsche Atommodell erläutert, und schon wollen wir Atomkerne spalten, um "sich diesen gewaltigen Energievorrat der Natur zunutze zu machen". Schöne neue Welt. Schnell wird noch erzählt, dass Neutronen sich zur Spaltung besonders eignen und dass man durch Beschuss von Uran eine Kettenreaktion auslösen kann, wie man ihn von Atombomben kennt. Schweres Wasser und Graphit werden kurz erwähnt, nicht aber das Wort "Moderator", und der Unterschied zwischen Bombe und "Uran-Brenner" mit einer Kohlenstaubexplosion bzw. dem heimischen Kohleofen verglichen. Naja. Immerhin wird im letzten Satz erwähnt, dass Kohle und Öl nicht endlos vorhanden sind, was 1956 wohl schon eine echte Erkenntnis war.
Fazit: "Physik für Mädchen" ist ein Zeitzeugnis. Manche Stellen sind aus heutiger Sicht einfach veraltet, wenn auch nicht falsch. Was die gesellschaftlichen Ansichten der damaligen Zeit angeht, habe ich glaube ich genügend Beispiele geliefert. Immerhin ist es anzuerkennen, dass man auch Mädchen die Naturwissenschaften näher bringen wollte. Die dem Buch fehlenden mathematischen Grundlagen mögen durch das Alter der Zielgruppe zu erklären sein, aber zum Teil wundert es doch, wenn manche Details einfach unter den Tisch fallen. Wussten die Autoren es manchmal selber noch nicht ganz so genau? Dann wäre das eine Erwähnung wert, statt auf dem Standpunkt des Allwissenden zu beharren.
Trotz allem und durch moderne Augen betrachtet eine erheiternde und teilweise auch informative Lektüre. Erschreckend ist allerdings die Sorglosigkeit, wie hier ionisierende Strahlung verharmlost wird. Ob Atomkraftwerke die Energie der Zukunft liefern sollten, darüber gehen ja auch heute noch die Meinungen auseinander.
Bei aller Fortschrittlichkeit, Mädchen die Geheimnisse der (im großen und ganzen newtonschen) Physik näher bringen zu wollen, so manche Dinge lassen einen heutzutage doch schmunzeln: Da ist zum Beispiel das Bild von der Mutter, die ihren Säugling badet, übrigens die erste Abbildung im ganzen Buch. Da wird der zukünftigen guten deutschen Hausfrau und Mutter schon mal direkt die Rolle vor Augen gehalten, die sie demnächst in der Gesellschaft zu belegen hat.
Insgesamt liest sich das erste Kapitel wie ein erweiterter Hauswirtschaftsunterricht: Da wird erklärt, wie Öfen und Eisschränke funktionieren. (Interessant auch die Abbildung der tuberkoulosegefährdeten Kinder, die sich vor Alpenpanorama in der Sonne sportlich betätigen - eine Krankheit, die auf Grund massivem Antibiotika-Einsatz in den Industrienationen als besiegt gilt und nur noch eine weit entfernte Erinnerung der letzten oder sogar vorletzten Generation ist, in der so genannten dritten Welt aber auch heute noch umgeht wie Pest und Cholera - zu finden im Unterkapitel über Wärmestrahlung.)
Doch dann wirds ernst: Federn, Hebel, Schwerpunkte, Druck, Auftrieb werden sehr anschaulich erklärt. Wenn ich anschaulich sage: Mathe beschränkt sich auf Textaufgaben, Formeln sind weit und breit keine zu sehen - wenn man mal von "Arbeit = Kraft mal Weg" absieht. Hier wird auf Intuition gesetzt. Das soll die trockene Materie wohl etwas schmackhafter machen, und vielleicht auch leichter verständlich.
Übrigens: Hier wird noch mit Pond und Kilopond gerechnet und auf den Unterschied zwischen Gewicht und Masse großen Wert gelegt. Schon interessant, dass sich in manchen Bereichen das SI so stark durchgesetzt hat (Wer weiß heute noch, was ein Pond ist? Newton ist die Einheit, die Kräfte - und damit auch Gewichte - angibt!), und doch weiß jeder mehr mit Pferdestärken anzufangen als mit Kilowatt... zumindest, wenn es um Autos geht!
Interessant auch, wie ausführlich auf die Funktionsweise einer Dampflok eingegangen wird: Bis weit in die '60er hinein fuhren auch in Deutschland noch regelmäßig dampfgetriebene Loks.
Das nächste Kapitel bringt und den Schall näher - auf gerade mal acht Seiten. Schall ist dem Autor offenbar zu langweilig oder zu komplliziert für Mädchen. Immerhin, wir erfahren, wie Schallplatten funktionieren, die man damals offenbar noch aus Hartgummi (Schellack?) herstellte und noch nicht aus PVC.
Es geht weiter mit dem Licht. Eine Lochkamera zu bauen, das war wohl schon in den '50ern eine Methode, die Kinder bei Laune zu halten. Wir haben das allerdings im Kunst- und nicht im Physikunterricht gemacht. Dann kommen Schatten dran, und sogar die Lichtgeschwindigkeit wird kurz erwähnt. Leider wird nicht erwähnt, dass Brechung an optisch dichtere oder dünnere Medien auf die Unterschiede in der Lichtgeschwindigkeit beruht oder die Dualität des Lichtes als Teilchen oder Welle erwähnt. Ob das damals die Kinder überfordert hätte, weil zu abstrakt?
Linsen, Spiegel und Blenden werden recht gut erklärt, ebenso Perspektiven und schließlich folgt ein kleiner Abstecher in die Biologie, wenn das Auge (und Kurz- und Weitsichtigkeit) erklärt wird. Es folgt die Vorstellung eines Prismas ("Erklärung" wäre zu hoch gegriffen, denn warum ein Prisma das Licht aufspalten kann, wird nicht mal ansatzweise erwähnt).
Nach der Optik folgt das Kapitel über Magnetismus: Was ist ein Magnet, wie die Eisen-Atome sich ausrichten, wenn ein Magnet in die Nähe gebracht wird (die Worte, die ich hier vermisse, wären "magnetisches Moment", aber das wäre für die 7 Klasse vielleicht auch heute noch zu hoch), dass die Erde ein Magnetfeld hat (aber nicht, wie es entsteht, das wusste man damals tatsächlich noch gar nicht so genau) und wie man eine Uhr als Kompass benutzten kann (Digitaluhren gab es damals noch nicht, also musste man nicht extra darauf hinweisen, dass man eine mit Zeigern meint).
Das wars auch schon, was der Autor über Magnete zu sagen hatte. Es folgt die Elektrizität, die anhand der Analogie von sich bewegendem Wasser in Rohren erläutert wird, und das sehr intensiv. Ob das dem Verständnis von Elektrizität tatsächlich hilft, mag dahin gestellt sein; immerhin gab es damals noch keine Elektronik im heutigen Sinne, für die man Ladungseigenschaften von Elektronen hätte kennen müssen. Aber den Unterschied zwischen Wechsel- und Gleichspannung hätte man schon erwähnen können. Ansich gerät das Kapitel wieder zu einer Vertiefung der Hauswirtschaft, wenn hier - mädchengerecht - von Bügeleisen, Tauchsiedern und Backöfen geredet wird. Immerhin werden neben (den damals gebräuchlichen) Schmelzsicherungen sogar "neumodische" Si-Schutzschalter erwähnt und sogar recht detailliert erklärt.
Es folgen Glühlampen und wie man mit ihnen seine (oder eher "ihre") Küche korrekt beleuchtet. (Jungs haben in der Küche schließlich nichts verloren! Deswegen sehen wir ja auch Mutter beim Abwasch. Vati sitzt wahrscheinlich schon vorm Volksempfänger und hört Fußball! )
Was uns der Strom kostet und was eine Kilowattstunde ist, erfahren wir wieder über die leidige Wasserleitungs-Analogie. Immerhin wird die Elektrolyse von Wasser erwähnt (was bei all den Wasserleitungen ja auch abzusehen war ). Von hier hangeln wir uns weiter zu so grundlegenden Begriffen wie "Spannung, Stromstärke und Widerstand" (für letzteren bekommen wir sogar eine Definition geliefert, vielleicht weil diese so anschaulich ist, da sie mit Quecksilberfäden einer bestimmten Länge zu tun hat(te)).
Dann folgt etwas, was ich zuvor noch nicht gesehen habe: Im Abschnitt über (Blei-)Akkumulatoren findet sich tatsächlich nicht nur eine, sondern gleich zwei komplette chemische Reaktionen mit allen dazugehörigen Symbolen für die beteiligten Elemente. Offenbar ist dem Autor hier nichts mehr eingefallen, wie man das anschaulicher machen könnte.
Im Abschnitt über Elektromagnetismus erfahren wir, wie eine Hausklingel funktioniert, wie ein Lautsprecher und ein Mikrophon zusammen ein Telefon (Sorry, "Fernsprechapperat") ergeben und wie ein Dynamo bzw. ein Elektromotor funktionieren. Es wird sogar Induktion erklärt, und hier begegnet uns auch endlich der Wechselstrom. Überhaupt ist dieses ganze Kapitel sehr viel technischer und weniger auf die werdende Hausfrau zugeschnitten, hier kann man tatsächlich auch abstrakte Dinge wie einen Sinus (auch wenn er nicht so genannt wird) finden und wie man aus Wechsel- einen Gleichstrom erzeugt (gruselig, wenn man keine Dioden zur Verfügung hat).
Jetzt ist es an der Zeit, ein Elektrizitätswerk zu besuchen: Vom Wasserrad wird zur modernen Dampfturbine übergeleitet, Hochspannungsleitungen und -netze werden erklärt und die Notwendigkeit von Transformatorenhäuschen eingeworfen. Dann geht es mit der Straßenbahn als elektrischem Verbraucher weiter, bis wir leider wieder im Haushalt landen und der Hausfrau beigebracht wird, dass die Segnungen des Elektromotors vom Fleischwolf bis zum Teigrührer auch dem Heimchen am Herd zu Gute kommt.
Hingegen ist es gut zu wissen, wie ein Kühlschrank funktioniert. (In diesem Abschnitt habe sogar ich noch was gelernt, denn zu meiner Zeit waren Absorbtionskühlschränke so hoffnungslos veraltet, dass ich darüber nichts mehr gelernt habe - aber jetzt weiß ich endlich, wie ein Campingkühlschrank mit Gasflamme kühlt, denn das dürfte wohl der letzte Anwendungsbereich für diese Energieverschwender sein.)
Nach so viel Hauswirtschaft zurück zum Thema: Physik. Und jetzt wird es spannend, denn es geht um "elektrische Strahlen". Wir beginnen mit einer Neonröhre (ohne das Wort "Plasma" in den Mund zu nehmen - aber wahrscheinlich nannte man das damals wirklich noch nicht so), weiter gehts mit Röntgenstrahlung und wie man sie mit einer Kathodenstrahlröhre erzeugt. Glücklicherweise wusste man damals noch nicht, wie gefährlich höhere Strahlendosen auf die Dauer sind, deshalb wird auch mit keinem Wort erwähnt, warum die Arzthelferin auf dem Foto eine Bleischürze trägt. Achso, wir wollen nur niemanden beunruhigen, dann ist ja gut. Dabei wird uns doch als nächstes gezeigt, wie gefährlich Strom sein kann. Seltsam.
Weiter gehts im Kapitel "Rundfunk". Ein Schwingkreis wird mit einem U-Rohr voller Wasser verglichen. Naja, ok, Analogien sind ja hilfreich fürs Verständnis, angeblich. Aber immerhin, wir erfahren von Kondensatoren und offenen Schwingkreisen und Antennen, schließlich reden wir über die Modulation von Wellen (und meinen Amplitudenmodulation, FM war wohl noch nicht in Gebrauch oder zu kompliziert) und es wird uns erklärt, wie man mit einer Glühkathodenröhre das empfangene Signal verstärken kann. (Transistor-Radios gab es noch nicht, nur Papas alten Volksempfänger.) Kurz werden noch Ultrakurzwellen erwähnt, und dass man sie für sowas ultramodernes wie Fernsehn braucht (oder auch Radar).
Das nächste und letzte Kapitel hat es in sich: Atomphysik. Wir beginnen mit Uran-Pechblende und lassen darin von Marie Curie Radium entdecken. Die unterschiedlichen Strahlungsarten (α, β, γ) werden erwähnt sowie die Halbwertszeit erklärt. Radium als Heilmittel, das ist allerdings etwas, wo man heute lieber die Finger von lässt. Aber damals war Radioaktivität ja noch was Gutes, oder zumindest nicht gefährlich.
Kurz wird das bohrsche Atommodell erläutert, und schon wollen wir Atomkerne spalten, um "sich diesen gewaltigen Energievorrat der Natur zunutze zu machen". Schöne neue Welt. Schnell wird noch erzählt, dass Neutronen sich zur Spaltung besonders eignen und dass man durch Beschuss von Uran eine Kettenreaktion auslösen kann, wie man ihn von Atombomben kennt. Schweres Wasser und Graphit werden kurz erwähnt, nicht aber das Wort "Moderator", und der Unterschied zwischen Bombe und "Uran-Brenner" mit einer Kohlenstaubexplosion bzw. dem heimischen Kohleofen verglichen. Naja. Immerhin wird im letzten Satz erwähnt, dass Kohle und Öl nicht endlos vorhanden sind, was 1956 wohl schon eine echte Erkenntnis war.
Fazit: "Physik für Mädchen" ist ein Zeitzeugnis. Manche Stellen sind aus heutiger Sicht einfach veraltet, wenn auch nicht falsch. Was die gesellschaftlichen Ansichten der damaligen Zeit angeht, habe ich glaube ich genügend Beispiele geliefert. Immerhin ist es anzuerkennen, dass man auch Mädchen die Naturwissenschaften näher bringen wollte. Die dem Buch fehlenden mathematischen Grundlagen mögen durch das Alter der Zielgruppe zu erklären sein, aber zum Teil wundert es doch, wenn manche Details einfach unter den Tisch fallen. Wussten die Autoren es manchmal selber noch nicht ganz so genau? Dann wäre das eine Erwähnung wert, statt auf dem Standpunkt des Allwissenden zu beharren.
Trotz allem und durch moderne Augen betrachtet eine erheiternde und teilweise auch informative Lektüre. Erschreckend ist allerdings die Sorglosigkeit, wie hier ionisierende Strahlung verharmlost wird. Ob Atomkraftwerke die Energie der Zukunft liefern sollten, darüber gehen ja auch heute noch die Meinungen auseinander.
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